Ab 1. Juni sind viele Aufzüge Sprengstoff für ihre Betreiber

Richtung Zukunft weist die Novellierung der Betriebssicherheit Verordnung für Aufzüge - mit erheblichen Folgen für deren Betreiber

Richtung Zukunft weist die Novellierung der Betriebssicherheit Verordnung für Aufzüge – mit erheblichen Folgen für deren Betreiber

 

(cafm-news) – Laut dem Statistik-Portal statista waren in Deutschland im Jahr 2010 rund 650.000 Aufzüge und Fahrtreppen in Betrieb. In seinem Anlagen-Sicherheitsreport 2013 ging der TÜV Nord bereits von mehr als 700.000 Aufzügen in Deutschland aus. Regelmäßig geprüft werden von diesen laut TÜV trotz gesetzlicher Auflagen nur rund 450.000 Aufzüge, und das mit ernüchterndem Ergebnis: Der TÜV-Report besagt, dass lediglich ein Drittel der geprüften Aufzüge mängelfrei war. Jetzt kommt die novellierte Betriebssicherheits-Verordnung.


Hinweis: Lesen Sie ergänzend auch unser
Interview zu Aufzügen und der neuen Norm EN 81-20/30.


Im Juni dieses Jahres (2016) kommt eine neue Situation auf die Betreiber zu. Dann nämlich tritt die novellierte Betriebssicherheitsverordnung, kurz BetrSichV, in Kraft, mit weitreichenden Änderungen für den Betreiber. Bisher galten lediglich gewerblich genutzte Aufzüge in Betrieben als Arbeitsmittel und fielen entsprechend unter die Anforderungen der BetrSichV. Ab Juni werden pauschal alle Aufzüge als Arbeitsmittel klassifiziert. Damit sind auch Aufzüge in Wohnhäusern Arbeitsmittel und fallen unter die Regelungen der BetrSichV, mit der Folge, dass die Betreiber entsprechender Anlagen deren Auflagen vollumfänglich zu erfüllen haben. Das wird für viele Betreiber eine Kostenüberraschung bedeuten, wenn an der Aufzuganlage nachgerüstet werden muss.

Denn durch die Novelle steigen zusätzlich zur pauschalen Klassifizierung der Aufzüge auch die generellen Anforderungen an alle Aufzuganlage noch einmal. Bei der nächsten Prüfung durch die ZÜS, die zugelassenen Überwachungsstellen wie TÜV, Dekra oder GTÜ, könnten bis zu einer halben Million Aufzuganlagen Mängel bekommen die dann dazu führen, dass die Aufzuganlagen aufgerüstet werden müssen – das wären fünf Siebtel aller installierten Aufzüge.

Zwar lassen sich mit Hilfe von CAFM-Software Instandhaltungs- und Wartungsaktivitäten leicht belegen, doch damit ist es noch lange nicht getan. Was Betreiber von Aufzuganlagen erwartet und wie sie sich den kommenden Anforderungen stellen können, beleuchtet unser Interview mit dem Aufzug-Experten Hans-Joachim Werner.


CAFM-News: Herr Werner, was kommt mit der Novelle der Betriebssicherheitsverordnung (BetrSichV) am 1. Juni 2015 auf die Betreiber von Aufzuganlagen zu?

Hans-Joachim Werner: Im Kern erst einmal das, was schon immer galt: Der Betreiber einer Aufzuganlage muss die Sicherheit dieser Aufzuganlage gewährleisten. Im Unterschied zu der bisherigen Praxis gilt diese Regelung ab Juni auch für Wohnhäuser und rein privat genutzte Aufzüge, die zum Transport von Personen gedacht sind. Das wissen viele noch nicht.


CAFM-News: Was ist der Hintergrund für die Novellierung?

Werner: Die erste BetrSichV trat 2003 in Kraft. Sie formulierte eine Reihe von Auflagen, die der Betreiber sicherzustellen hat. Dazu gehören zum Beispiel der Schutz der Monteure, der Aufzugwärter und der Passagiere. Es war gefordert, dass für jede Aufzuganlagen eine Gefährdungsbeurteilung, die GBU, erstellt wird. Doch noch heute haben viele Anlagen diese GBUs nicht. Daraufhin hat der Gesetzgeber gesagt, das muss verbessert werden und zieht jetzt die Daumenschrauben an.


CAFM-News: In welcher Weise?

Werner: Zum einen muss die Prüfung der Anlage für jeden Nutzer durch einen Prüfaufkleber direkt im Aufzug erkennbar sein, ähnlich wie die TÜV-Plakette am Auto. Ab Juni wird diese nach jeder Prüfung, wenn Sie erfolgreich war, aufgeklebt. Wie bei einem Auto. Sie ist durch die BetrSichV zwingend vorgeschrieben. Außerdem muss eine ständig besetzte Notrufzentrale für den Notruf in der Aufzugkabine garantiert sein, flankiert von einem Notfallplan, der beschreibt, wer in welchen Fällen zu kontaktieren ist, damit beispielsweise eine Person schnellstmöglich aus einer stecken gebliebenen Kabine geborgen werden kann. Und die Aufzuganlage muss auf dem Stand der Technik sein, was den eigentlichen Sprengstoff birgt. Das wird durch die GBU festgestellt.

Aus den Augen, aus dem Sinn: Mängel wie diese werden in einer GBU festgehalten

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CAFM-News: Was bestimmt den Stand der Technik?

Werner: Der Stand der Technik ist die DIN EN 81.1 A-3 vom 1. Januar 2012.


CAFM-News: Wie viele Aufzuganlagen entsprechen diesem Stand der Technik aktuell?

Werner: Die Frage ist eher, wie viele ihr nicht entsprechen. Und das sind sehr viele, denn wir haben sehr viele Anlagen, die 20 Jahre und noch wesentlich älter sind. Die Schätzungen reichen bis zu einer halben Million Anlagen, das wären über 70 Prozent alle Aufzüge in Deutschland.


CAFM-News: Was sind beispielsweise Anforderungen in der DIN?

Werner: Beispielsweise müssen Aufzüge eine Abschlusstür in der Kabine haben, einen Schutz der Treibscheiben durch Eingriff von Personen, was heute bei vielen Anlagen nicht der Fall ist. Viele Aufzüge haben auch noch einen Drei-Punkt-Antrieb ohne Fangvorrichtung in Aufwärtsrichtung. Das bedeutet, dass die Welle im Getriebe an drei Punkten gelagert ist und dass, wenn dort die Welle abschert, der Antrieb nicht gebremst werden kann. Dann knallt im schlimmsten Fall die Kabine in die Schachtdecke. Deshalb muss eine Fangvorrichtung in Aufwärtsrichtung nachgerüstet werden. Möglich ist auch, dass die Kabine ins Trudeln kommt, auch hierfür sind Maßnahmen zu treffen, die dieses verhindern.


CAFM-News: Das sollte doch aber machbar sein…

Werner: Die Theorie ist geduldig und die Wirklichkeit grausam. Bei alten Anlagen kann die Nachrüstung aus mehreren Gründen schwierig werden. Ist die Anlage sehr alt, das bedeutet älter als 20 Jahre, spricht allein schon die eher dünne Ersatzteilversorgung quasi das Todesurteil über diese Aufzuganlage. Und dann ist es natürlich auch eine Frage der Wirtschaftlichkeit, ob es sich überhaupt noch rechnet, eine alte Anlage nachzurüsten. Man muss in diesem Fall die gesamte Aufzuganlage betrachten: Was bekomme ich noch an Ersatzteilen jetzt und was in den nächsten drei bis fünf Jahren, wenn ich ein Teil nachrüsten muss? Sind dann Reparaturen zum Beispiel an den Türen oder am Motor nötig und sind keine Ersatzteile mehr erhältlich, kann es sein, dass ich eben zu dem späteren Zeitpunkt die gesamte Aufzuganlage tauschen muss. Man muss das Risiko kennen und es auch einschätzen können. Hier können mehrfach Kosten auf den Betreiber zukommen.


CAFM-News: Was kann der Betreiber einer Aufzuganlage schon jetzt tun, um sich besser abzusichern?

Werner: Hilfreich ist sicher, sich einen fachkundigen Partner mit ins Boot holen. Die meisten Betreiber entscheiden sich hier für einen unabhängigen Fachplaner.


CAFM-News: Und wie geht es dann weiter?

Werner: Sofern es noch nicht geschehen ist, sollte der Betreiber als erstes für jede seiner Aufzuganlagen eine Gefährdungsbeurteilung, die so genannte GBU, einholen. Leider haben sehr viele Aufzüge noch keine, obwohl sie längst gesetzlich vorgeschrieben ist. Ist die GBU erstellt, sollte der Betreiber mit seinen vertrauenswürdigen Partnern besprechen, welche Arbeiten wann abgearbeitet werden und das dokumentieren. Zugleich kann er mit diesen Partnern schauen, ob es überhaupt noch sinnvoll ist, zu modernisieren oder ob – wie bei dem Beispiel oben – die Aufzuganlage gleich ausgetauscht werden sollte.


CAFM-News: Und wäre mit dem Austausch der Aufzuganlage dann alles in Butter?

Werner: Wie man es nimmt. Generell wird sich die Situation weiter verschärfen, denn während Aufzuganlagen früher 30 Jahre und länger hielten, wird es heute schon für Anlagen, die 15 Jahre alt sind, schwieriger, Ersatzteile zu beschaffen. Ein Fachberater wird bei der Planung einer neuen Anlage auch diese Aspekte im Blick haben, um eine Alternative für eine langfristig verlässliche Lösung anzustreben, damit die Betreiber nicht nach 15 Jahren vor der selben Situation steht und wegen Ersatzteilmangels erneut komplett tauschen müssen – wir reden hier ja von Investitionen von 50.000 bis 150.000 Euro je Aufzug. Wer davon ein paar im Haus hat, sollte sich gut absichern.

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CAFM-News: Bisher haben sich ja viele Aufzugbetreiber nicht ernstlich um ihre Anlagen gekümmert, frei nach dem Motto, da wird schon nichts passieren. Wie sieht das nach Inkrafttreten der Novelle aus?

Werner: Das Gefährliche ist in der Tat, dass viele ihre Pflichten bisher nicht ernst genommen haben und das ist eine Haltung, die sich ändern muss. Anderenfalls fallen diese Menschen in ein sehr tiefes Loch, sollte es tatsächlich einmal zu einem Zwischenfall kommen, bei dem im schlimmsten Fall ein Mensch zu Schaden kommt. Dann wird kaum eine Haftpflicht diesen Fall einfach so übernehmen. Sie wird erst alle Pflichten auf Erfüllung prüfen, dann schauen, ob die BetrSichV befolgt wurde, ob die Prüfpflichten eingehalten sind und ob die Gefährdungsbeurteilung erstellt und sämtliche Mängel beseitigt wurden. Fehlt auch nur ein Baustein, haftet der Betreiber für den Schaden, im Zweifel auch mit seinem Privatvermögen.


CAFM-News: Wer haftet eigentlich im Sinne der Betreiberverantwortung genau?

Werner: Sofern die haftungsrelevanten Aufgaben nicht eindeutig delegiert sind, ist das recht einfach. Hat eine Firma ein Gebäude, das sie betreibt – ganz gleich ob Lager, Büro oder Geschäft – ist der Geschäftsführer verantwortlich. Das selbe gilt beispielsweise auch für Krankenhäuser. Bei Wohngebäuden ist es der Eigentümer. Gibt es eine Eigentümergemeinschaft, haftet diese gemeinsam. Daher ist es wichtig, genau zu bestimmen, wer der Betreiber ist – nicht die Hausverwaltung, wohl aber die Gesamtheit der Eigentümer. Übrigens haftet auch nicht der Service-Dienstleister der Anlage, obwohl das häufig angenommen wird.


CAFM-News: Hat ein Betreiber seine Pflicht getan, wenn er die Anforderungen der BetrSichV erfüllt? Oder gibt es noch mehr zu beachten, um die Betreiberverantwortung verlässlich wahr genommen zu haben?

Werner: Der Betreiber hat noch mehr zu beachten. Was genau, ist neben der BetrSichV in verschiedenen Gesetzen, Verordnungen und Vorschriften geregelt und kann sich zudem je nach Bundesland unterscheiden. Zu den weiteren Pflichten gehört unter anderem auch, dass Betreiber die Dokumente zu ihren Aufzuganlagen vollständig bereit halten, was wesentlich mehr ist, als die meisten Betreiber vorliegen haben. Zu diesen Dokumenten gehören unter anderem auch Betriebshandbücher und die Handbücher zur Wartung und Reparatur. Der Betreiber muss seine wöchentlichen Pflichten kennen und ihre Einhaltung dokumentieren. Und dann sind die Wartungsarbeiten von Fremdfirmen regelmäßig unter den Aspekten der Technische Regel für Betriebssicherheit, der TRBS, zu prüfen, da die Firmen nicht für die Ergebnisse ihrer Arbeit haften. Damit sollten die wesentlichen Punkte erfüllt sein.


CAFM-News: Vielen Dank für das Gespräch.



Hinweis: Lesen Sie ergänzend auch unser Interview zu Aufzügen und der neuen Norm EN 81-20/30.





Hans-Joachim Werner, Aufzugberater

Hans-Joachim Werner hat lange Jahre in führender Position bei einem der weltweit größten Aufzughersteller gearbeitet. Heute ist er als herstellerunabhängiger Berater mit seinem Unternehmen W+S Aufzugmanager selbständig tätig. Zu seinen Kunden gehören Kliniken, Hochschulen, Hausverwaltungen und Versicherungen (Bei Gutachten aller Art).




Abbildungen: Tom Semmler; Hans-Joachim Werner




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