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Gebäude werden digital: Datenmanagement ermöglicht effizienteren Betrieb, optimierte Flächennutzung und vorhersehende Wartung (Foto: SRE)

Projekte 9. März 2018 Warum kann Deutschland kein BIM?

Mit Building Information Modeling (BIM) ist die Digitalisierung auch in der Bauindustrie angekommen – heißt es zumindest überall. Stefan Kögl, bei Siemens Real Estate (SRE) verantwortlich für weltweite Bauvorhaben, stellt dies in Frage.

Während in den angelsächsischen, osteuropäischen und asiatischen Märkten BIM heute vielerorts schon eine Selbstverständlichkeit ist, wird bei uns in Deutschland primär darüber geredet. Die Defizite gehen sogar so weit, dass inzwischen deutschen Firmen Marktteilnehmer aus Osteuropa als Projektpartner empfohlen werden, damit sie ihre Aufträge erfüllen können.

Da stellt sich die berechtigte Frage: Wenn BIM so viele Vorteile bietet, warum wird es dann in Deutschland bisher so selten angewendet? Aus meiner Sicht liegt das zum einen an der Immobilienwirtschaft selber. Diese ist in – man kann fast sagen – mehrere Branchen unterteilt.

Während beispielsweise im angelsächsischen Raum nach dem Prinzip des Design Build gebaut wird – also ein Unternehmen plant und erstellt alle Gewerke – handeln bei uns die Planer teilweise autark und sehen nur ihr Werk, das sie mit anderen Fachplanern gemeinsam erstellen. Dann kommen die Baufirmen, die ebenfalls Subunternehmen für die einzelnen Gewerke beauftragen und sich versuchen zu optimieren, ohne das fertige Gebäude in der Zukunft im Blick zu haben. Als dritte sehen die Bauherren – wenn sie nicht wie wir als CREM agieren – auch nur den Bau und nicht den späteren Betrieb und sind wie die Finanzbranche einzig und allein an den Kosten und dem aktuellen Marktwert interessiert.

Tipp: So verändert Building Information Modeling (BIM) die Prozesse in den Unternehmen.

Jeder dieser Beteiligten verfolgt seine eigenen Interessen – und nur die. Keiner erkennt scheinbar das große Bild und die Möglichkeiten, mit den generierten Daten neue Geschäftsfelder zu erschließen. Bei dem teilweisen Einsatz von BIM wie wir ihn derzeit erleben, wird versucht nach konventionellen Abläufen das große Ganze aus den vorher zerlegten Einzelteilen wieder zusammenzufügen, anstatt neue konsistente Prozesse und der Technik angepasste Abläufe zu implementieren.

Ein Beispiel: An einem Deckensegel in einem modernen Bürogebäude hängt ein Brandmelder, ein Bewegungsmelder, innen ist ein Kühlelement montiert sowie Licht und Dämmung für die Akustik. An so einem Deckensegel arbeiten heute vier und mehr Gewerke – nicht selten gleichzeitig – auf der Baustelle. Dafür hat der Generalunternehmer mehrere Ausschreibungen gemacht und auf jede davon haben zehn bis 20 Firmen angeboten. Mit BIM geplant könnte dies sehr viel einfacher und schneller als Bauelement „Deckensegel“ vergeben, entsprechend vorgefertigt komplett auf der Baustelle angeliefert und im Ganzen montiert werden.

Das zeigt, welche Potenziale BIM gerade im Innenausbau bietet. Beim Neubau des Siemens Headquarters in München standen nicht selten mehr als 600 Arbeiter von zig Gewerken gleichzeitig auf der Baustelle und sich dabei teilweise auch im Weg.

Fünf Punkte die sich für BIM bessern müssen
Und das geht weiter, denn anhand der mit BIM zum Beispiel aus dem Deckensegel erhaltenen Daten kann das Facility Management ganz neue Wege beschreiten – von der bisher üblichen Reparatur auf Zuruf hin zu einer vorhersehenden Instandhaltung, denn anhand der Sensoren und möglichen Vernetzung der Bauelemente weiß es vorher, was wann für welche Kosten gewartet werden muss. Und im Betrieb erkennen wir anhand der Bewegungsmelder, welche Räume wie genutzt wurden, können die Flächennutzung, die Reinigung und den Energieverbrauch optimieren und so die Betriebskosten senken.

Sie werden sagen, das geht doch heute auch schon – ja das stimmt. Heute gibt es aber für jedes Thema einzelne Handlungsstränge, die teilweise händisch gesteuert werden müssen. In Zukunft reden wir von einem vernetzten System, das über Algorithmen bestimmte Steuerungen und Auswertungen selbstständig fährt. Stellt sich die Frage: Was können, oder besser gesagt müssen wir tun, damit BIM auch in Deutschland „fliegt“? Meines Erachtens gibt es hier fünf große Handlungsfelder:

1. Die HOAI muss geändert werden. Sie war hilfreich, so lange der Markt für Planungsleistungen sehr volatil war. Heute jedoch sind die Auftragsbücher voll und der marktregulierende Honorarwettbewerb nicht länger gegeben. Zudem lässt sie, als Grundlage für die Beauftragung genommen, den Eindruck entstehen, es würden mehr Informationen oder Leistungen beim Einsatz von BIM abgefordert. Dies ist aber nicht der Fall. Es werden – vereinfacht gesagt – nur viele Informationen früher gefordert.

2. Gleiches gilt für das Haftungsrecht. Der Planer, der ein „Werk“ schuldet, obwohl er es gar nicht erstellt, bildet die Realität nicht ab. Das muss angepasst werden. Auch hier gibt es hilfreiche Vorgaben im angelsächsischen Markt.

3. Die Investoren müssen motiviert werden, BIM zum Standard zu erklären. Wenn beispielsweise die vernetzte Stadt von der Politik zum Ziel der Zukunft erklärt wird, werden die dazu benötigten Standards auch beauftragt und geliefert. Vergleichbar mit der Einführung der EnEv, die beispielsweise die Standards für die Dämmung von Gebäuden erheblich verbessert und damit den Energieverbrauch deutlich reduziert hat.

4. BIM muss in die Ausbildung von Architekten, Bauingenieuren und Fachplanern Einzug halten. Alles, was dort gelehrt wird, ist richtig und wichtig, aber weitestgehend fehlt nach wie vor die digitale Facette.

5. Auch wir Bauherren müssen unsere Entscheidungsprozesse optimieren und viel früher die wesentlichen Parameter der Anforderungen festlegen und einhalten. Ständiges Ändern bis zur Übergabe kann nicht das Prinzip sein.

In den USA arbeitet man bei Neubauten schon seit vielen Jahren mit digitalen Datenmodellen. Vielleicht sind diese Datenmodelle noch nicht so umfassend, wie wir sie in Zukunft brauchen. Zumindest ist man dort aber schon mal wesentlich weiter und offener als wir in Deutschland.

Die Vorteile, die BIM nicht nur beim Bau, sondern auch weit darüber hinaus bietet, werden gerade bei Großprojekten besonders deutlich. So werden etwa beim Siemens Campus in Erlangen in den kommenden Jahren über 300.000 Quadratmeter Büro-, Labor-, Hotel- und Konferenzfläche in rund 20 Gebäuden entstehen.

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Die Gebäude des Siemens Campus Erlangen müssen untereinander vernetzt sein (Foto: Siemens AG)

Hier ist es essenziell, dass diese Gebäude und ihre Infrastruktur miteinander vernetzt werden, um sie später deutlich effizienter betreiben zu können. Das senkt die Betriebskosten, eröffnet Möglichkeiten für neue Service-Angebote und kommt damit den Nutzern zugute.

Wesentlich ist auch, nicht nur das einzelne Gebäude zu betrachten, sondern die ganze Stadt. Wenn man nur an Stichworte wie Elektromobilität und autonomes Fahren und die dafür notwendige Infrastruktur denkt, dann wird das ohne digitale Datenmodelle der Umgebung kaum umsetzbar oder auch steuerbar sein.

Hier ist die Politik gefordert. Während in Großbritannien bereits seit einigen Jahren öffentliche Gebäude mit BIM geplant und gebaut werden müssen, soll dies in Deutschland erst ab 2020 verbindlich werden. Der deutsche Markt verharrt in alt hergebrachten Strukturen und Abläufen. Zwar wird auch in unserer Politik viel darüber geredet, jedoch wenig konkret umgesetzt. Wir brauchen verbindliche, aber auch pragmatische Standards, die sich schnell und flexibel an die durch die Digitalisierung entstehenden und wachsenden Herausforderungen anpassen lassen.

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Stefan Kögl sieht vor allen Dingen fünf "Needs" damit BIM endlich in Deutschland "fliegt" (Foto: SRE) kommt

Abschließend möchte ich außerdem allen meinen Kollegen in der Bauwirtschaft, allen Planern und Baufirmen zurufen: Uns geht es in der deutschen Immobilienwirtschaft derzeit so gut, wie selten zuvor. Nutzen Sie diese guten Zeiten und investieren Sie in die Zukunft. Investieren Sie in BIM und digitale Standards. Denn ich bin überzeugt, dass zukünftig neben der Lage auch die Daten, die in einem Gebäude „gespeichert“ sind, eine wesentliche Rolle für die Festlegung des Marktpreises einer Immobilie spielen werden. Plakativ formuliert wird es schon bald nicht mehr nur heißen „Lage, Lage, Lage“, sondern auch „Daten, Daten, Daten“.

Autor: Stefan Kögl ist bei Siemens Real Estate (SRE) verantwortlich für die weltweiten Bauvorhaben.

zuletzt editiert am 31.05.2021