Schnell mal virtuell? Messen und Kongresse als Lernprozess

Virtuelle Veranstaltungen – viele Wow, aber auch gut?
Virtuelle Veranstaltungen – viel Wow, aber auch gut?

 

CAFM-NEWS – Virtuelle Messen, Kongresse und Gesprächsformate sind im Trend – erzwungener Maßen. Denn wer viel kommunizieren will oder muss, ohne sich einer Covid-19-Infektion aussetzen zu möchten, bleibt am besten Zuhause und klickt einen Link. Das ist bequem, aber auch doof. Denn im digitalen Off wird allerhand verpasst.

Das fängt mit den Formaten an: Eingetragen im Kalender wie eine echte Messe, gestaltet sich die Anreise zur virtuellen Präsentation trotzdem wie an jedem Tag, der ins Büro oder gar ins Homeoffice führt. Und auch das Frühstück hat die immer gleiche Atmosphäre von Alltag. Dass da irgendwo irgendwas stattfindet fiele gar nicht auf, hopste einem nicht der Reminder aus dem Outlook ins Blickfeld. Und wer ihn routiniert wegklickt, ohne vorher hinzuschauen… – …oh, hab ich was verpasst?

Oder der Alltag stürmt in den Ort der Rezeption und lenkt ab: Vom Bildschirm, vom Termin – und schon ist die Pressekonferenz verpasst oder das Podiumsgespräch oder die Produktpräsentation, die Casestudy, die technologische Erläuterung, der Workshop, der Ausblick in die Zukunft. Man könnte so nah dran sein, dank IT – aber am Ende ist es doch so verdammt weit weg in der Wirklichkeit.

Warum ist das so? Sind die Themen nicht interessant? Und die Vortragenden? Verpasst man denn nicht wichtige Inhalte? Man muss die Fragen wohl gebündelt und anders stellen:

Was fällt einem in der fremdbestimmten Isolation besonders auf?

Da ist zum einen die Intensität, mit der einem plötzlich die Belanglosigkeit mancher Vorträge ins Auge springt. Wenn es keine Option mehr gibt, anderen beim sich Langweilen zuzuschauen, und auch die Attraktivität anderer Messebesucher*innen als willkommener Trost ausfällt, offenbart sich das Präsentations-Un-Talent mancher Probanden in brutaler Nacktheit. Aber zum Glück – ein Klick – schon weg.

Dann ist das .ppd zu bedenken, das PowerPoint-Dilemma. Denn noch immer hat sich nicht herumgesprochen, das mit Text gefüllte Folien schneller gelesen sind, als der Sprecher spricht. Ignoriert wird auch, dass ein Bilderhaufen pro Slide im günstigsten Fall den Charme eines durchgeschüttelten Briefmarkenalbums entfaltet und eher zum Stöbern als zum Zuhören einlädt.

Dann ist da die technische Unbedarftheit mancher Vortragenden zu beobachten, die offenbar meinen, es sei schon ok, wenn die Laptop-Kamera das Kinn von unten filmt und das eingebaute Mikrofon nicht nur den Vortrag in mäßiger Qualität einfängt, sondern auch jedes Klicken für die nächste Präsentations-Folie auf der Tastatur und den bellenden Hund an der Haustür. Untermalt wird das ganze natürlich vom Rauschen des Computerlüfters, vielen Dank.

Dann sind da die professionell dekorierten Hintergründe, die an der Ernsthaftigkeit des Vortragenden unmittelbar zweifeln lassen – und die Deko-Palme ist da noch das kleinste Problem. Da gehen im Hintergrund Türen auf und zu, Haustiere grüßen in die Kamera oder im Rücken des Sprechers/der Sprecherin präsentiert sich ein Schuhregal/Spieleregal/Sonnenuntergangsposter… – Sie wissen, was ich meine.

Manche Meeting-Lösung erlaubt es immerhin, einen künstlichen Hintergrund einzufügen. Das wäre toll, bekäme nicht der Kopf des Referenten hierdurch unverdient einen Heiligenschein. Oder seine Nase verschwindet, wenn er den Kopf dreht – dafür wird dann der tatsächliche Hintergrund in den Brillengläsern transparent. Also das Schuhregal, als Wirklichkeit-Hack im Pseudo-Büro.

Und schließlich drängelt die Frage: Ist es wichtig?

So leid es mir tut – die meisten Vorträge sind virtuell wie real oft nichts anderes als begeisterte Selbst-Lobhudelei oder aufgepumpte Belanglosigkeiten oder Kennen-wir-schon-in-neuem-Gewand oder ein Feuerwerk der aktuell attraktivsten Worthülsen.

Echten Content, tatsächliche Neuerungen, brauchbaren Nutzwert oder doch wenigstens einen mitreißenden Vortragsstil sucht man bei den meisten virtuellen Veranstaltungen genauso mit der Lupe wie im wahren Leben. Mit einem sehr wesentlichen Unterschied:

Auf echtem Messeparkett kann man sich in ein Gespräch am Nebentisch einladen, Freunde, Kollegen, Bekannte oder mögliche Kunden von der Produktpräsentation vor drei Wochen treffen, man bekommt neue Gesichter vorgestellt oder hat endlich mal Zeit für einen Plausch mit einem potenziell interessanten Technologiepartner, einfach weil man gerade am Stand steht oder irgendwo nebeneinander, direkt und von Angesicht zu Angesicht – ein fantastischer Türöffner.

Dieser Türöffner fällt aber aus im virtuellen Raum. Und darum müssen sich die Präsentatoren digitaler Vollverköstigung auch deutlich mehr strecken als im Rauschen einer normalen Messe. Das ist die nächste Hürde, die es zu nehmen gilt. Denn die erste ist ja schon geschafft:

Virtuelle Messen und Kongresse finden statt. Immerhin.



Abbildungen: CAFM-News



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Eine Antwort

  1. Lieber Tom Semmler, ein längst überfälliger Kommentar zum Ende des „COVID-Jahr 2020“ zum notgedrungenen Schwenk auf virtuelle Events. Viele Ihrer Beobachtungen teile ich schmunzelnd bis amüsiert. Insbesondere Ihr vorletzter Absatz spricht mir aus dem Herzen: So wenig, wie der digitale Zwilling das Ästhetische an einem reale Bauwerk ersetzen kann, so wenig können virtuelle Kongresse und Messen die gezielte oder zufällige persönliche Begegnung kompensieren. Gleichwohl finde ich es klasse und habe auch Respekt, wie rasch sich Veranstalter und Teilnehmer umgestellt haben: In diesem Jahr haben wir uns noch jener Plattformen und Techniken bedient, die es zwar längst vor Covid-19 gab, die aber noch nicht jedem zur Verfügung standen: Nun haben Akzeptanz und Nutzung ja sprunghaft zugenommen – wenn vielleicht auch noch nicht die Kompetenz (auf der einen, wie auf der anderen Seite). Doch facettenreiche digitale Interaktivität wird in dem Maße weiter zunehmen, wie wir auch in unserer Branche die damit einhergehenden Chancen erkennen, und die Unzulänglichkeiten zu überbrücken lernen.
    Mir fällt Marshall Mc Luhan ein, 1967: „Das Medium ist die Botschaft.“ Oder Neil Postman, 1992: „Wir amüsieren uns zu Tode: Das Fernsehen gefährdet die Urteilsbildung der Bürger, und der Zwang zur Bebilderung entleert die Inhalte von Politik und Kultur = „Infotainment“ …, ganz zu schweigen von den Auswirkungen von Social Media …
    In 2021 wird die Lernkurve weiter ansteigen: Wir werden hybride Events auf Basis neuer und weiter entwickelter Kommunikationsplattformen im Eventbereich erleben: Dabei geht es um Frequenz, Kontakte und Leads. Und wer tatsächlich Nennenswertes zu sagen hat, und wer sich am Wissenstransfer beteiligt, und wer mit seinen guten Botschaften zu Produkten oder Dienstleistungen überzeugen möchte, dem eröffnet sich ein sehr viel effizienteres Potenzial, denn je zuvor. Wir sollten aber nicht länger die Transformation in die Digitalisierung alleine als Projektentwickler, Planer, Handwerker, Bauunternehmen oder Betreiber verstehen – sondern auch mit einer Anforderung an unsere persönliche Kommunikationskompetenz und -Kultur zu digitalen Medien und hybriden Events: Auch das zielt auf Kollaboration. Und eben hier kann die Digitalisierung allzu schnell disruptiven Charakter entfalten. Die persönlichen – auch zufälligen – Begegnungen aber werden auch wieder wertvoller sein! Vielen Dank für Ihre Anregung.

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