Wiener Linien starten BIM im Bestand

Drei U-Bahn-Stationen haben die Wiener Linien in einem Pilotprojekt für ihre BIM- und CAFM-Ziele  lasergestützt vermessen lassen

Drei U-Bahn-Stationen haben die Wiener Linien in einem Pilotprojekt für ihre BIM- und CAFM-Ziele lasergestützt vermessen lassen



CAFM-NEWS – Die Wiener Linien GmbH & Co. KG sind einer der ältesten Anbieter für öffentlichen Personen-Nahverkehr in Österreich. Sie bauen und betreiben das Netz von U-Bahn, Autobus und Straßenbahn in der Millionenstadt Wien und sorgen dafür, dass jeden Tag 2,6 Millionen Fahrgäste rasch, sicher und bequem an ihr Ziel kommen. Mit mehr als 8.700 MitarbeiterInnen ist der Transportanbieter einer der größten Arbeitgeber der Stadt.

Geführt wird die Tochter der Wiener Stadtwerke nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten – ein Grund für den Einsatz von CAFM und BIM. Was die Wiener Linien hiermit machen, welche Ziele sie verfolgen und wie sie BIM im Bestand integrieren, beleuchtet unser Interview mit Dario Gaudart, Strategischer Projektleiter CAFM & BIM bei den Wiener Linien.




CAFM-News: Herr Gaudart, die Wiener Linien betreuen 650 km Gleislänge, über 1 Mio. m² Nutzfläche und über 1000 Objekte in Wien sowie den gesamten Neubau und die zugehörigen Anlagen. Für welche Bereiche sind Sie hier genau zuständig?

Dario Gaudart: Ich verantworte die Entwicklung und laufende Umsetzung der Digitalisierungsstrategie unserer Bauabteilung, außerdem leite ich die Projekte zur Einführung von CAFM und BIM bei den Wiener Linien.



CAFM-News: Das heißt, die Wiener Linien haben derzeit noch keine CAFM-Lösung in Verwendung?

Dario Gaudart: Doch, aber erst seit Ende 2017. Historisch war bei den Wiener Linien eine sehr diversifizierte Systemlandschaft gewachsen. Zum Teil sind hier sehr ausgereifte Systeme vor allem im Gleisbereich entwickelt worden. Ende 2015 haben wir mit umfassenden Systemanalysen begonnen und haben darauf aufbauend eine Marktanalyse durchgeführt. Dabei haben wir die Schwächen und Stärken unserer Systemlandschaft identifiziert und dann entschieden ein neues, standardisiertes und flexibles CAFM System anzuschaffen, welches gewisse Teile unserer bisherigen Systeme ablösen und nahtlos mit anderen bestehenden Systemen verknüpft wird. Neben den Schnittstellen zu ERP, Dokumentenmanagement und Gebäudeleittechnik haben wir hier eine sehr tiefgreifende Verbindung zu unserer eigenentwickelte, auf Open-Source-Software basierende Infrastruktur-Datenbank mit einer extrem starken GIS-Komponente.



CAFM-News: Was sind zentrale Kriterien, wenn ein Unternehmen im Personennahverkehr eine CAFM-Lösung einführen möchte? Liegt der Fokus auf Gebäuden, auf Verkehrswegen, dem Fuhrpark oder allem, wenn auch in unterschiedlicher Gewichtung?

Dario Gaudart: Bei uns liegt der Fokus ganz klar auf den Gebäuden und Anlagen sowie der Vernetzung dieser Daten mit unseren bestehenden Systemen. Dieser Schwerpunkt ergab sich, da unsere bestehenden Systeme die Verkehrswege und die Fahrzeuge sehr gut abdecken.



CAFM-News: In welchem Umfang spielen Themen wie Standardisierung und Leitfäden eine Rolle bei der Einführung und später bei der alltäglichen Nutzung?

Dario Gaudart: Die Standardisierung ist für uns einer der zentralen Vorteile der Digitalisierung. Natürlich gehen hier auch individuelle Freiheiten verloren, jedoch müssen wir als Unternehmen gewährleisten, dass die Betreiberverantwortung wahrgenommen wird und Ressourcen effizient eingesetzt werden. Es kann daher auch aus wirtschaftlicher Sicht nicht innerhalb des Unternehmens unterschiedliche Arbeitsweisen geben. Durch die digitale Abbildung der Prozesse können wir diese Standardisierung verbindlich, nachvollziehbar und effizient in die operativen Bereiche überführen.



CAFM-News: Die Wiener Linien sind ein sehr altes Unternehmen. Wie problematisch ist die Datenübernahme mit Blick auf alte Trassen und Gebäude? Ist hier schon umfangreich digitalisiert worden oder sollen möglicherweise fehlende Daten mit der Einführung aufgenommen werden?

Dario Gaudart: Die bisherige Herangehensweise war durch einen sehr hohen Personalaufwand geprägt. Wir haben zum Beispiel im Gleisbereich mehrere Jahre Arbeitsleistung in die nachträgliche Datenerfassung von vergangenen Gleisbaustellen gesteckt. Mittlerweile haben wir dadurch eine solide Datenbasis welche mehrere Jahrzehnte zurückreicht und uns durch die Verschneidung mit Messdaten eine optimale Planungsgrundlage bietet.
Im Objektbereich haben wir 2017 einen sehr spannenden Test zur digitalen Bestandserfassung in Gebäuden durchgeführt. Mittels Laserscan wurden drei U-Bahn-Stationen vermessen und darauf aufbauend wurden 3D-Gebäudedatenmodelle erstellt. Diese Modelle sollen jetzt standardisiert und mittels IFC-Import in unser CAFM-System übernommen werden. In einem ersten Test hat das bereits gut funktioniert und alle Räume, Türen, Fenster etc. konnten inklusive Attributen und Struktur importiert werden.



CAFM-News: Wie gehen Sie mit dem Thema Digitalisierung und daran geknüpft der Frage der Datenübernahme generell um? Setzen Sie auf Standards, die Sie bei den CAFM-Anbietern einfordern, wie beispielsweise Kompatibilität zu CAFM Connect oder IFC?

Dario Gaudart: Ja, auf jeden Fall. Systeme, welche auf Industriestandards basieren, können vom Wissen des gesamten Marktes profitieren. Schnittstellen und Datenübernahme können dadurch wesentlich effizienter umgesetzt werden, aber auch die langfristige Verfügbarkeit der Daten kann besser gewährleistet werden. Die IFC-Importmöglichkeit war daher Teil unserer CAFM-Ausschreibung.



CAFM-News: In welchem Umfang spielt BIM bereits eine Rolle bei den Wiener Linien?

Dario Gaudart: Viele unserer Projektpartner setzen bereits auf BIM, nutzen die Methode jedoch nur intern, also als Little bzw. Closed BIM. Gleichzeitig ist es nur eine Frage der Zeit, bis wir in Österreich ähnliche politische Vorgaben zur Nutzung von BIM bekommen wie Sie in Deutschland.
Ganz allgemein verfolgen wir das Thema aber aus Eigeninteresse, da wir uns ein sehr großes Effizienzpotential sowohl bei der Planung und im Bau als auch im Betrieb erwarten. Wir haben daher mit einer Prozessanalyse gestartet und werden in Kürze eine BIM-Strategie fertigstellen. Wir müssen für uns intern beantworten, welche Rolle wir im Prozess „Planen, Bauen und Betreiben mit BIM“ einnehmen und darauf aufbauend Richtlinien erstellen, Software beschaffen und Mitarbeiter schulen.




CAFM-News: Werden BIM-Daten auch mit Blick auf die spätere Übernahme in ein CAFM-System erhoben und ändert sich hierdurch die Struktur der Daten, beispielsweise durch erweiterte Anforderungen?

Dario Gaudart: Für uns als Betreiber steht natürlich die Pflege und Nutzung im Fokus, schließlich fallen bereits bei herkömmlichen Immobilien 80 Prozent der Kosten im Betrieb an. Bei unserer langjährigen Nutzungsdauern steigt dieser Anteil nochmal.
Die Datenstruktur ist hier jedenfalls eine der größten Herausforderungen. Einerseits wollen wir flexibel Auswertungen und Abfragen durchführen und möglichst alles dokumentieren. Auf der anderen Seite verursacht es natürlich auch administrativen und operativen Aufwand, je umfangreicher Daten erfasst und gepflegt werden müssen. Hier gilt es daher, den richtigen Mittelweg zu finden. Als Grundlage setzten wir auf Industriestandards wie IFC. Anforderung an das CAFM-System war eine umfassende Flexibilität.



CAFM-News: Sie vertreten die Wiener Linien in den Arbeitsgremien des ÖBV (Österreichischen Bautechnik Vereinigung) und der Plattform 4.0 Planen. Bauen. Betreiben. In welcher Weise kann sich ein ÖPNV-Unternehmen hier einbringen?

Dario Gaudart: Es geht uns hier darum, unsere Erfahrungen zu teilen und gemeinsam mit anderen engagierten Betreibern, Auftraggebern, Planern und Ausführenden den Stand der Technik voranzutreiben. Dafür erstellen wir Schriften, Richtlinien und Vorlagen mit dem Ziel die Einstiegshürden in neuen Methoden wie BIM für die gesamte Branche zu senken.



CAFM- News: Wie viele Projekte zur Digitalisierung laufen aktuell bei den Wiener Linien parallel, und welches brennt am meisten?

Dario Gaudart: Neben dem großen Digitalisierungs-Projekt CAFM und BIM laufen Projekte in der Gebäudeleittechnik, zu Augmented Reality und zu IoT.
Aktuell befinden wir uns in einer sehr heißen Phase der CAFM Einführung, aber auch die BIM Strategie wird immer greifbarer. Wir müssen jetzt liefern und die geweckten Erwartungen erfüllen, gleichzeitig ist es wesentlich, jetzt nachhaltig zu handeln. Das bedeutet, Prozesse gemeinsam nochmal zu hinterfragen, operativ zu testen und die Systeme erneut nachzuziehen. Das verursacht jetzt viel Aufwand, verringert aber die
Frustration und erhöht die Akzeptanz bei allen Beteiligten.



CAFM-News: Welche Vorteile versprechen Sie sich von der Einführung eines CAFM-Systems für die Wiener Linien?

Dario Gaudart: Unser Anspruch ist es, neben der rechtssicheren Dokumentation der wahrgenommenen Betreiberverantwortung vor allem effizienter arbeiten zu können. Wir wollen mobil und vernetzt arbeiten, jederzeit auf relevante Informationen einfach zugreifen können und unsere operativen KollegInnen von administrativen Tätigkeiten befreien.
Was unsere Systemlandschaft angeht, so werden wir auch hier wesentlich effizienter und flexibler. Aufgrund offener Schnittstellen und Standards wie IFC sind wir fit für zukünftige Entwicklungen und Methoden von BIM über IoT bis Augmented Reality.



CAFM-News: Nach welchen Kriterien haben die Wiener Linien das CAFM-System ausgesucht?

Dario Gaudart: Wesentlichster Erfolgsfaktor ist die Nutzerakzeptanz. Wir haben daher ein Bestbieterverfahren durchgeführt, wobei eine standardisierte Bieter-Präsentation durchgeführt wurde und Konzepte zu Projektabwicklung und Schulung vorgelegt werden mussten.
Beides wurde durch eine achtköpfige Jury aus fünf verschiedene Fachabteilungen beurteilt. In Summe bestimmte die Jury durch diese Qualitätsbewertung über 45 Prozent der erreichbaren Punkte im Vergabeverfahren. Die Streuung der Jurybewertungen hat gezeigt, wie unterschiedlich die verschiedenen Systeme wahrgenommen wurden.
Uns waren außerdem Zertifizierungen nach der GEFMA 444 Richtlinie sowie erfolgreiche Projektabwicklungen in anderen großen Unternehmen wichtig.



CAFM-News: Und wann hoffen Sie, mit dem System zu arbeiten?

Dario Gaudart: Wir führen derzeit operative Tests durch und wollen über den Sommer schrittweise ganz produktiv gehen.



CAFM-News: Vielen Dank für das Gespräch.




Dario Gaudart - Wiener Linien

Dario Gaudart hat Bauingenieurwesen und Baumanagement in Wien studiert und dabei seine Diplomarbeit „BIM für den Betrieb von Infrastruktur“ verfasst. Seit 2013 ist er bei den Wiener Linien in der Stabsstelle Infrastruktur beschäftigt, und ab 2015 als strategischer Projektleiter BIM & CAFM bestellt, seit 2018 ist er für sämtliche Digitalisierungsagenden der Bauabteilung verantwortlich. Zusätzlich engagiert sich Gaudart für die Wiener Linien im ÖBV-Arbeitskreis BIM in der Praxis und ist an dessen Schrift 09 Fokus Tiefbau und Infratruktur als Autor beteiligt.





Abbildungen: Wiener Linien




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