Die Qual der Wahl: CAFM-Software und Branche

Eigenwahrnehmung und Fremdwahrnehmung - auch bei der Frage des Branchenfokus passen Herstellerangaben und Wirklichkeit nicht immer zusammen.

Eigenwahrnehmung und Fremdwahrnehmung – auch bei der Frage des Branchenfokus passen Herstellerangaben und Wirklichkeit nicht immer zusammen.


(cafm-news) – CAFM-Software ist nur ein Teil der Lösung. Wichtig ist immer auch, sich als Kunde zu fragen, welcher Branche man angehört und was die entscheidenden Spezifika dieser Branche sind, bevor zu einem CAFM-Produkt gegriffen wird. Welche Aspekte hierbei eine Rolle spielen und warum Statistiken hier eine Grenze finden, beschreibt Dr. Joachim Oelschlegel vom CAD-Systemhaus in Dresden in seinem Gastbeitrag zum Statisk-Freitag.

Der Markt der Akronyme

Software zur Unterstützung von Geschäftsprozessen kann entweder analog den Geschäftsprozessen strukturiert sein oder strukturiert selbst einen teilweise neuen, effektiveren IT-gestützten Geschäftsprozess. Aus der Sicht der Spezialisierung kann man allgemeine und spezielle, querschnittsorientierte oder vertikalisierte, branchenneutrale oder branchenspezifische Geschäftsprozesse und damit auch Applikations-Software unterscheiden. Diese IT-gestützten Geschäftsprozesse werden mit Akronymen wie ERP, DMS, GIS, CAFM usw. belegt. Wobei auch Geschäftsprozesse erst durch IT möglich werden, wie das Beispiel BI (Business Intelligence) zeigt, um aus der Datenflut prognostische Entscheidungen zu treffen.

CAFM ist schein-neutral

CAFM selbst ist per Definition Integration verschiedenster Geschäftsprozesse zur Erstellung, der Bewirtschaftung und dem Rückbau von Immobilien. Aus dieser Definition scheint eine Branchenneutralität abgeleitet worden zu sein, denn in den GEFMA-Richtlinien spielt die Branche keinerlei Rolle. Aber: Im Zuge der Modellierung von Applikationssoftware, umgesetzt in der Softwaredatenbank, wurde deutlich, dass die Branche eine wichtige Rolle bei der Abbildung der Daten und deren Beziehungen bildet.

Schon Adressen zeigen den Unterschied

Schon am scheinbar einfachen Beispiel einer Adresse, werden die Unterschiede deutlich. Struktur und Attribute einer Adresse der Verwaltung einer Kommune ist anders als die eines Bundeslandes. Umfang und Struktur der Adressen eines Mittelständlers ist anders als die eines Konzern. Die Adressverwaltung eines Logistikunternehmen ist wesentlich anders als die einer Sparkasse. Das Spiel lässt sich beliebig fortsetzen.

Einfluss gesetzlicher Rahmenbedingungen

Auf der Suche nach der kleinsten, nicht mehr zerlegbaren Funktionalität einer Applikationssoftware, in der Regel als Dienst bezeichnet, wird ebenfalls deutlich, dass es branchenspezifische und branchenneutrale oder branchenübergreifende Dienste gibt. Das Verhältnis von branchenneutralen und branchenspezifischen Funktionalitäten wiederum hängt von den Rahmenbedingungen der Applikationen ab. ERP, GIS, DMS und ähnliche haben zum Beispiel andere gesetzliche Rahmenbedingungen als CAFM. Mit Hilfe der Softwaredatenbank kann man erkennen, dass im ERP der Anteil branchenneutraler Funktionalitäten größer als im CAFM ist.

Der Branchen-Begriff ist mehrdimensional

Allerdings gibt es selbst bei dem scheinbar trivialen Begriff „Branche“ gerade in der Softwareindustrie sehr verschiedene Auffassungen, die teilweise erheblich abweichen. Es gibt Branchenverbände, es gibt einen Branchenschlüssel (WZ 2008 des Statistischen Bundesamtes, der durch IHK’s erweitert wurde), doch jeder Softwarehersteller definiert seine Branchen entsprechend seinem inhaltlichen Fokus. Die Schnittmengen der Softwarehersteller in einer Sparte sind kaum mehr als 50 Prozent. Dies könnte auch einer der Gründe sein, warum in der GEFMA-Richtlinienarbeit zum FM/CAFM die Branche keine Rolle spielt, dafür aber von Anwendungsgebieten (z.B. 6.6 FM in der Industrie; 6.7 FM bei der öffentlichen Hand – vgl. GEFMA 100 S.10) geschrieben wird.

Referenzkunden als Orientierung

Wie im normalen Leben auch, spielt aber das Nichtartikulierte, manchmal auch Nichtartikulierbare, eine wesentliche Rolle beim Beginn einer Beziehung. Referenzen und Referenzkunden haben bei der Vorauswahl von Software eine große Bedeutung. Ein CAFM-Suchender aus der Industrie wird eher selten Anbieter vorauswählen, die keinerlei Referenzen auf diesem Gebiet vorweisen. Bekanntermaßen lern der Softwarehersteller mit seinen Kunden. Dieses Branchen-Know-how macht nicht selten den Wert einer Applikation aus. Der Aufbau dieses Know-hows benötigt Jahre, die für einen Hersteller, der einen Auftrag annimmt ohne das entsprechende Know-how zu besitzen, auch zum Desaster werden kann.

Strategisches Neuland betreten

Es kann natürlich auch den Fall geben, dass ein Unternehmen neuartige Produkte und Geschäftsprozesse mit IT unterstützen will und dann einen Hersteller sucht, dessen Blick nicht durch gewöhnliche oder gewohnte Sichten beeinflusst ist, und der bereit ist, gemeinsam kreativ Neues zu entwickeln.

Weitere Auswahlkriterien

Neben den Referenzkunden kann man sich dem Branchenfokus einer Software auch über weitere Daten nähern:

  1. Bezeichnung der Software, ein seltenes, aber eindeutig zu klassifizierendes Merkmal (s. Statistik 1) wie bei communalFM
  2. Explizite Aussagen des Herstellers
  3. Verkaufmodule der Software des Herstellers, ein noch seltenes aber stetig zunehmendes und eindeutiges Klassifizierungsmerkmal wie bei pit-Kommunal (s. Statistik 2).
  4. Indirekte Erkennung der Branche entsprechend der vom Hersteller angegebenen Referenzkunden
  5. Über einzelne oder zusammenhängende Spartendienste der Software wie zum Beispiel die Nebenkostenabrechnung; dieses sind anspruchsvoll zu interpretierende Daten, die beispielsweise aus der Softwaredatenbank extrahierbar sind

Hersteller-Aussage vs. Datenbank

Zu welch unterschiedlichen Ergebnissen zwischen 2, 3 und 4 man kommt, soll an einem Beispiel deutlich werden, dass wir aus der Softwaredatenbank extrahieren:

Verschiedene Wege, die Branchenzugehörigkeit einer CAFM-Software mittels Datenbank zu bestimmen.

Verschiedene Wege, die Branchenzugehörigkeit einer CAFM-Software mittels Datenbank zu bestimmen.

Deutlich zu erkennen ist, dass zwischen den Aussagen des Herstellers und der Branchenzuordnung seiner Kunden eine Differenz besteht. Die Branchen, gewonnen aus den Referenzkunden, haben zweifelsfrei objektiveren Inhalt. Diese Klassifizierungen über die Branche sollen eine CAFM-Vorauswahl sicherer machen. Die übliche Klassifizierung im FM/CAFM ist aber technisches, betriebswirtschaftliches und infrastrukturelles FM (Paradigma des FM). Nun ist eine Klassifizierung weder falsch noch richtig, sondern nur nützlich und hier entscheidungsorientierend. Aus unserer Sicht hat aber die Branche eine deutlich höhere Entscheidungsnützlichkeit und damit könnte ein Paradigemenwechsel der Sicht auf FM und CAFM einhergehen.

Fazit

All diese Überlegungen in der Vorauswahl von CAFM-Software zu berücksichtigen, ist anspruchsvoll und nicht immer erfolgreich, Das unterstreicht die Abbruchrate von rund 25 Prozent aller Projekte. Eine um wenige Prozent geringere Abbruchrate könnte bereits erheblichen volkswirtschaftlichen Nutzen bedeuten. Die Gegenüberstellung von Herstelleraussagen, verfügbaren Modulen und faktischer Branchenabdeckung, die der Screenshot oben zeigt, verdeutlicht, warum das Thema Branche anspruchsvoll ist, denn ohne Überprüfung mit technischen Hilfsmitteln bietet das schlichte Label kaum höhere Trennschärfe als andere Klassifizierungen.

Dr. Joachim Oelschlegel



Hinweis: Wer für sein Projekt eine genauere Branchenzuordnung benötigt, kann sich hierzu gerne mit dem CAD-Systemhaus in Verbindung setzen.



Abbildungen: CAD-Systemhaus

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